Mein erster Kurzfilm

Hier mein erster Kurzfilm auf Youtube: „Dreamboy“

Und ein paar Eindrücke von den Dreharbeiten.

Da mich das Medium Film sehr interessiert, war ich auch an anderen Filmprojekten aktiv, allen voran war ich in einige Hintergrund-Recherchen und Set-Vorbereitungen für Filme von Regisseur Reinhard Forstinger eingebunden. Ich durfte auch an einigen Sets organisatorisch mitarbeiten und der Crew über die Schulter schauen.

Ich machte aber auch italienische Übersetzungen von Interviews der Dokumentation „Sie nannten ihn Spencer“ von Regisseur Karl-Martin Pold.

Und ich organisierte und moderierte gemeinsam mit Freunden eine Reihe von Filmabenden in Wien, um mich in der Szene der unabhängigen Filmschaffenden, die low budget Filme machen, zu vernetzen.

Zeitreise mit Hieroglyphen

Das Schönste im Leben sind die Kurven...

entstanden im Dezember 2019 während eines Schreibkurses mit Susanne Axmann

Hier sitze ich ferner liefen ohne Plan. Wohin soll die Reise gehen? Zuerst einmal steht sie, die Reise. Ich stehe an. An einer Bar mit viel zu kleinem Stuhl. Barhocker ist das keiner. Zwei Stück sind von diesen winzigen Klappsesseln vorhanden. Und ein wackeliger Tisch. Mir fällt gleich auf, dass einem hier alles runter fällt, sogar die Kinnlade. Moment! Alles nochmal rückwärts! Gestern war es doch, ja gestern, da ging die Reise los. Mit dem Auto, in das ich den falschen Sprit tankte. Weil es in diesem ach so angepriesenen Land nur eine Zapfsäule für alle gibt. Für alle Automarken. Blöd aber, wenn der Motor das nicht versteht. Niemand konnte mir sagen, wie ich vorankommen könnte. Sollte ich? Welch Frage. Zurück zum Start. Wie viel Zeit bleibt mir noch? Zwanzig Minuten? Dann ist das Spiel aus. Wie dieses Volk das hier wohl handhabt, die Zeit. Die scheinen hier viel davon zu haben. Ob der Unbekannte, den ich bald treffen werde, auch so viel Zeit übrig hat? Keine Zeit verlieren mit Nachdenken. Autsch, eine Kokosnuss – Volltreffer, mitten auf die Windschutzscheibe. Na super, und nun kann ich nicht einmal mehr sagen, dass ich ein Auto besitze. Das ist eine Schrottkarre. Ich setze mich unter den Baum, der so gerne Ballast abwirft, überreife Früchte. Nein, Kokosnüsse sind mir doch zu hart. Da nehm ich lieber den Olivenbaum, der auch ein wenig Schatten spendet. Kostbare Zeit fließt durch meine Adern, ich atme auf. Egal, ob der Unbekannte auf mich wartet. Ich atme wieder. Darum geht`s! Aus das Karussell. Handy im Auto, sehr gut! Auto versperrt sich von selbst, umso besser. Bleibt mir nur noch der Olivenbaum zum Anlehnen. Ich entdecke Hieroglyphen am Baumstamm. Und ich lasse sie auf mich wirken. Sekunden vergehen, Minuten, Stunden. Ich schlafe ein und träume. Da klopft plötzlich jemand auf meine Schulter. Ich sitze vor einem Spieleautomaten und nehme die 3D-Brille ab. Es ist der Kellner des Spiele-Lokals. Ob ich noch etwas trinken möchte. Nett sieht der aus! Ich wache auf und weiß nicht, wie mir geschah. Ich erinnere mich nur noch an irgendwelche Hieroglyphen an einem Baumstamm, die mich zum Träumen brachten.

Silberfische

meiner verstorbenen Pörtschacher Oma gewidmet (März 2019)

Sie haben mich als Kind schon immer fasziniert. Diese flinken Ungeziefer, die am blau-türkisen Fliesenboden im Klo meiner Großeltern herum flitzten. Als ich nun als Erwachsene am stillen Örtchen sitze , einen Tag vor der Beerdigung meiner Oma, da fallen sie mir wieder auf. Auf lupenreinen, sterilen Oberflächen fühlen die Silberfischchen sich nicht so wohl. Sie brauchen den Staub, das Unperfekte, das Lebendige. „Wir alle werden irgendwann zu Staub“, denke ich, betätige die Spülung, sorge für Frischluft und schaue in den Himmel. Die Vögel zwitschern, es wird Frühling. „Und morgen wirst du zu Grabe getragen, liebe Oma“, sage ich leise zu mir selbst. Du hast um jeden Atemzug gekämpft, bist schweren Herzens von uns gegangen, hast eine große Familie hinter dir gelassen, die um dich trauert. Ich gehe wieder in die Küche, wo eine Tante gerade in der Fotokiste kramt. Parallel schreiben wir die Fürbitten und trinken Sekt zur Entspannung. Wir schweifen ab, in Erzählungen, Rückblenden und lassen Omas Kindheit revue passieren. Eine Kindheit mit vielen Widersprüchen. Mit bereits vier Jahren ging sie als kleines Mädchen namens Traudl jeden Sommerbeginn zu Fuß von Sirnitz im Gurktal bis Feldkirchen, begleitet von ihrer Oma. Dort wurde sie den Großeltern väterlicherseits übergeben. Die Eltern waren getrennt, damals eher unüblich, aber die Großeltern kooperierten. In Feldkirchen angekommen, wurde sie das Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen zuerst einmal umgezogen. Sie bekam feines Gewand übergestülpt und fühlte sich wie eine Puppe. Erst dann wurde sie auf einen Karren gesetzt, der sie mit ihren anderen Großeltern nach Pörtschach brachte. Die Oma aus Sirnitz machte sich zu Fuß wieder auf in ihre Heimat. Traudls Gedanken waren trotz der Fürsorge der Pörtschacher Großeltern oft bei ihrem ärmlichen Zuhause. Wie es allen wohl geht? Ihre alleinstehende Mama verdiente den Unterhalt für die vierköpfige Familie als Köchin. Am Ende der Sommermonate wurde Traudl wieder nach Feldkirchen gebracht, um dort erneut mit ihrer Oma aus der Sirnitz den Fußmarsch in die Heimat anzutreten. Auch wenn ihr Zuhause im Gurktal von Bescheidenheit und Armut geprägt war, so fühlte sich das Mädchen dort immer wohl. Sie liebte ihre Kleidung, die mit viel Mühle geflickt wurde. In der Obhut ihrer Oma ging es ihr stets gut. Sie freute sich, wenn immer ihre Mama Zeit für sie fand. Die Wärme war gegeben, auch wenn die Mittel nur bescheiden waren. Ich denke daran, wie wichtig es ist, einen Ort zu haben, den man Zuhause nennt, weil man sich dort geborgen fühlt. Kaum entschwindet ein geliebter Mensch aus dem Irdischen, brauchen die Hinterbliebenen einen Ort, an dem sie mit dem oder der Verstorbenen ins Zwiegespräch kommen können. Oder einfach nur ein Gebet aussprechen können. Vom Sekt noch müder geworden und schwerem Kopf, lege ich mich auf die Couch. „Wie lange leben eigentlich Silberfische?“, frage ich mich und schlummere ein.

Wir werden alle mal zu Staub.

Schwarz-Weiß

Meinem zweiten Opa gewidmet, der noch lebt.

Es ist einer dieser verschneiten Wintertage, an denen ich mit meinem Opa Schach spiele. Der Hund liegt mir zu Füßen und seufzt zufrieden. „Wenn du so fährst, dann fahre ich halt so,“ spricht mein Opa und setzt mich Matt. Selbst aufs noch so kurze Spiel folgt eine Analyse der Schachzüge. Opa weist auf die Strategie des Vorausschauens hin, entdeckt aber Müdigkeit in meinen Augen, es waren heute mühsame Stunden in der Schule. Das Sich-In-den-Gegner-Hineinversetzen verlangt Konzentration. Die ist heute weg. Es ist schön, wenn ich mich mal nur auf die schwarz-weißen Felder konzentrieren darf. Der Hund muss hinaus. Und während des Spazierganges denke ich über Schwarz und über Weiß nach. Über die Figur des Königs, der immer nur ein Feld fahren darf und über die Macht der wendigen Dame. Das Männliche ist in diesem Spiel auf die weibliche Kraft angewiesen. Schneeflocken fallen auf meine Nase. Der Hund frisst Schnee und wälzt sich darin. Ich staune über seine Freude und setze mich auf einen Felsen. Sonnenstrahlen durchbrechen die Wolken. Wie ich diese Stille liebe. Ich blende alle Sorgen aus. Zu vieles, was mir wichtig war, habe ich in den letzten Monaten meiner vergangenen Beziehung ausgeblendet. Ich habe nur mehr Schwarz oder Weiß gesehen. Und daher ging es dann zu wie beim Schach, wir wurden zu Gegnern.

Robin Hood der Gefühle

entstanden in meiner Wiener Zeit

Er wischt die Krümeln vom Tisch. „Was magst du trinken, es gibt alles, außer Alkohol“, schmunzelt N. Keine andere Bedienung könnte heute besser sein. Er leiht mir sein Ohr, schwingt sich auf den Stuhl und wartet, bis ich zu erzählen beginne. Ich bestelle Kakao. Im Häferl gibt`s Häferlkakao. Diese Sozialeinrichtung ist eine Heimat auf Zeit. Auch für mich. Ein Zufluchtsort. Eigentlich ist die Einrichtung für Haftentlassene und Freigänger, aber eine meiner Recherchen hat mich hierher geführt. Scheinbar auch eine Institution für Freigeister. Bei meinem ersten Besuch fragte ich N. neugierig aus. Ich erfuhr, dass hier nicht nur Freigänger und Haftentlassene Gesellschaft suchen und finden. „Wir sind ja ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen,“ so N., der die Einrichtung führt und liebend gerne bewirtet.

Heute darf ich reden. „Komm, sag schon, was ist los?“, will N. hartnäckig wissen. Und die zwei Männer ringsum auch. Sie alle waren Mal im Knast und wirken trotzdem so verständnisvoll. „Aber wenn es mit mir durchgeht, dann bin ich ein anderer Mensch. Wenn jemand gegen meine Werte verstößt, dann kann ich meine Wut oft nicht mehr steuern,“ so N. „Habe die Ehre“, so die Begrüßung eines weiteren Ex-Knackis. Er erzählt von seiner Scheidung. Da vergesse ich meine Sorgen und werde in seine Geschichte hineingezogen. Das lenkt ab. Und insgeheim denke ich mir: Welch Robin Hood doch Norbert ist. Ein Robin Hood der Gefühle. Hier darf man einfach reden, jegliche Emotion zulassen. Manchmal landet man deshalb halt im Knast.

Gegenwind

in inniger Erinnerung an meinen Opa (Palmsonntag 2019)

Der Gegenwind auf der Autobahn peitscht dem kleinen Fiat entgegen. So unbeständig wie das Aprilwetter, so unbeständig sind heute meine Gedanken. Trotz Osterferien fehlt mir gerade der Boden unter meinen Füßen. Nur im Auto fühle ich mich zuhause. Während die Landschaft an mir vorbei rollt, versuche ich meine Gefühle zu ordnen. Die Fahrt führt zu meinem Opa, der in Pöckau nahe der slowenisch-italienischen Grenze lebt. Ein Blitz fährt aus den Wolken. Hagelsturm in mir. Ich ärgere mich über das Verhalten eines Menschen, der mir mal nahe stand. Ich hole Opa ab. Sein Kreislauf ist stabil genug, um eine Spritztour nach Italien zu machen. Kaum sitzen wir gemeinsam im Auto, sind alle Sorgen vergessen. Die fröhliche und ruhige Art meines Opas tut einfach gut. So spontan kann ich nur mit ihm sein. Er ist 88 und sein Parkinson kann ihn ganz schön im Griff haben, vor allem vormittags. Opa hat Stil und ist ein wichtiger Anker für mich. Er kann aber auch stur sein wie ein Esel. Wie immer hat er sich von der Pflegerin sehr elegant anziehen lassen: Anzug und Krawatte, der Hut darf auch nicht fehlen. Da er fast blind ist, trägt er zum Schutz der Augen immer eine Sonnenbrille, rund ums Jahr. Neckisch meine ich zu ihm: „Du hast dich ja richtig in Schale geworfen.“ Seine Antwort: „Wenn du wüsstest!“ Und dabei fällt er fast zu Boden, ein klappriger Tag. Seine Beine laufen ihm wieder einmal davon und er kann sich gerade noch am Tisch einhalten. Ich sollte doch mit der Pflegerin auf einen Cappuccino fahren, er bleibe lieber zuhause. Heute, wo ich so dringend seine Anwesenheit brauche, klappt er zusammen. Ich schalte auch auf stur: „Bist du deppert, Opa? Ich bin extra eine Stunde im Auto gesessen, um dich abzuholen und jetzt willst du nicht mitkommen? Du kannst klapprig sein, wie du willst, du steigst jetzt ins Auto, da musst du eh nur sitzen.“ Er willigt ein, auch wenn ihm das Wort Egoismus entkommt. Kurz darauf, sitzen wir zu dritt im Auto, die Pflegerin ist auch mit an Bord. Ich versuche langsam zu fahren. Und beruhige mich. Ich liebe diesen Modus: Musik, Opas singt, sein Stock dient ihm als Taktstock. Die Pflegerin und ich summen mit. Ein kurzer Krampf in den Waden ist gleich durch Abklopfen gelöst. Beim Stammcafe Krumpe, gleich nach der Grenze, möchte er nicht aussteigen. Stimmt, ich hab ja vorhin zu ihm gesagt, er müsse nur im Auto sitzen. Wie ich meinen Opa liebe! Ich denke kurz an den Palmesel. Ich kann ihn einfach nicht motivieren, es sei schon zu spät für Kaffee. Also fahren wir weiter, nach Dogna, wo mein Lieblingscafe ist. Zweite Chance. Da packt die Pflegerin ihren kroatischen Charme aus und schon sitzt Opa vorm offenen Kamin des Locanda del Orso. Schrullig sieht er aus mit seiner Damen-Sonnenbrille im Winter. „Das fällt ja auch wieder nur dir ein, abends auf Umwegen ins Kaffeehaus zu fahren.“ Er trinkt Malzkaffee. Die Pflegerin ist sehr gesprächig. Während sie mir aus ihrer Heimat, der Voivodina erzählt, steht Opa plötzlich auf. Ich denke, er müsse auf die Toilette. Doch er weist mit seinem Stock vehement Richtung Holzskulptur. Und beginnt diese zu betasten. Er hat zeit seines Lebens gerne geschnitzt. Die Figur zeigt einen Arbeiter. Er spürt, dass die gesamte Figur aus einem einzigen Stamm gefertigt wurde, aus einer Linde vermutlich. Nun kommt der Hunger. Opa möchte eine friulanische Haussalami kosten, er tunkt sein Panino in Ketchup. Und genießt. Es schmeckt ihm. Wir haben Spaß, auch die Heimfahrt ist richtig lustig. Wir singen zu dritt. Ich bedanke mich innerlich bei Opa für den tollen Ausflug, trotz oder gerade wegen des Gegenwindes.

Der Wecker

entstanden während meiner Ausbildung zur NMS-Lehrerin

Der Wecker läutet. Ich kann mich nicht bewegen. Alle zehn Minuten dieses Geräusch, das mich daran erinnert: finalisiere! Diese Doppelbelastung: Ausbildung und Neben-Job. Keinen schert`s, ob ich noch denken kann oder nicht. Abgabe ist Abgabe. Auch wochenends kann ich mich nicht ausklinken. Ich bin fast 40 und absolviere die zweite Ausbildung. Für mich selbst habe ich schon lange nicht mehr geschrieben. Es fehlt die Ruhe. Das Erleben. Darf das In-Mich-Gehen nicht mehr sein? Ich glaube mir selbst nicht mehr, dass ich einst Sinnvolles geschrieben habe. Ich finalisiere die Seminararbeit, ohne dass die Information durch mich hindurch muss. Richtig bequem kann das Schreiben sein, einfach Infos aneinanderreihen und in eine wissenschaftliche Ordnung bringen. Was, wenn ich den Wecker einfach abstelle? Das geht mit dem Handy gar nicht mehr, weil man ständig erreichbar sein muss. Da kann man nicht mal sagen, der Akku war leer.

Der Weg der Ameisen

entstanden nach einem Spaziergang

Niemand kennt Ameisen ruhend. Emsig laufen sie in alle Richtungen, ohne frontal zusammenzustoßen, ohne Schädel- und Hirntrauma und mit hoher Geschwindigkeit und zumeist mit großer Last am Rücken. Wirft man ihnen ein winziges Krümelchen auf den Boden, kümmert sich sofort ein rasch organisierter Aufräumtrupp ums Wegschaffen. Doch wohin wird das gebracht? Dient alles nur einem Zweck? Den Lebensraum zu erhalten? Erwachsen schaue ich auf den Ameisenhügel herab. Und stelle mir Fragen, die mit Effizienz zu tun haben. Währenddessen die kleine Lu sagt: „Schau mal, Tante! Wie hoch die hinaufklettern!“ Sie schaut einem hohen Ameisenberg entgegen, der ihr – vom Weg aus gesehen – bis zu den Schultern reicht. Ein Konvolut an Nadeln, Ästchen, Krümeln, und Ameisenjause ragt vor unseren Augen empor. Ich habe mich hingekniet, um gemeinsam mit meiner Nichte das Werk der flinken Insekten zu bestaunen. Selbst tote Ameisen werden sofort weggeschafft. Doch das Wohin kann nicht nachvollzogen werden. Zu viele Wege kreuzen sich hier. Wir versuchen immer wieder erneut, den Weg eines einzigen Brotkrümels zu verfolgen, das gehört schon zu unserem Fütterungsritual. „Tante, sind die Ameisen eigentlich auch traurig, wenn die die Toten so schnell wegtragen?“ „Ich denke schon, dass sie nachdenken und trauern, währenddessen sie die Verstorbenen an den vorgesehenen Ort schaffen,“ versuche ich die Kleine zu beruhigen. Und denke insgeheim, dass die Ameisen vielleicht nicht so fragil sind wie der Mensch, der alles hinterfragt. „Tante, streiten die manchmal auch, wer schneller ans Ziel kommt?“ Ich weiß keine Antwort und sage: „Ich glaube, die ticken anders als wir Menschen.“ „Zum Glück!“ ruft Lu. Und als ich ihr dabei zusehe, wie sie ganz behutsam die restlichen Krümel auf dem Ameisenhügel verteilt, erinnere ich mich an ein Ritual aus meiner Volksschulzeit. Der eine rubbelte so lange am Arm des anderen, bis dieser rot wurde und brannte. Dann rief der Rubbelnde stolz: „Ameisenstraße!“ und vergewisserte sich nochmals, ob das wirklich richtig brennte – so als wären zigtausende Ameisen mit ihrem Gift über den Arm spaziert. Währenddessen man die Ameisen förmlich auf der Hand krabbeln spürte, drehte sich der Übeltäter um und rannte davon. Und jetzt wird mir erst bewusst, wie geborgen und behütet die Kindheit meiner Nichte abläuft, im Vergleich zu meiner eigenen. Kinder sind fast schon zur Rarität geworden. Wir setzen uns auf eine nahe Bank und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Mit Blick auf den Ameisenhügel. „Was machen die denn, wenn alles aufgeräumt ist?“, will Lu wissen. „Haben die dann Ferien?“ Ich muss inniglich lachen, so richtig aus meinem Bauch heraus. Meine ganzen Erwachsenenfragen sind verflogen. Wir lachen beide, ohne auf eine Antwort zu warten. Denn kaum haben wir uns beruhigt, prusten wir schon wieder los. Tut das gut! Ich erzähle Lu, dass Ameisenhügel nur an ganz bestimmten Orten, wie an Lichtungen entstehen. „Die Ameisen spüren sicher ganz viel. Aber denken nicht nach“, meint Lu. Dieser Satz der Kleinen beruhigt wiederum mich. Gerade heute, da ich gleich zwei Entscheidungen bezüglich Jobwechsel und neuem Wohnort treffen sollte, spricht die Kleine diese Worte. „Sie denken nicht nach“, wiederhole ich, „sie spüren einfach. Ja, das ist es wohl“, meine ich in mich gekehrt. Am Heimweg beschließen wir, uns ganz auf die Ameisen zu konzentrieren. Wir wollen keine einzige zertreten und kehren still und beseelt nachhause zurück. Nachhause. Wo immer das ist.

Blinder Fleck

entstanden auf einer Zugfahrt im Frühling 2018

Das Pochen in meiner Brust war nicht zu stoppen. Es gab in letzter Zeit Momente, da wollte ich aufhören zu hören, zu schauen, zu fühlen. Die Sehnsucht nach meinem Ex-Freund lässt nicht nach. Habe trotz Liebe vieles nicht getan. Und vor allem auf mich vergessen. Ich verlor schleichend ein Stück meiner Sehkraft! Habe vieles nicht wahrgenommen, nicht wahrhaben wollen. Habe mein Innerstes überhört. Ich denke nach, doch spüre ich, was passiert ist? Feststeht: wir kamen vom Gemeinsamen ab. Beide blieben wir auf der Strecke. Bis es nicht mehr vorwärts ging. Die Buntheit wich dem Vorherrschen von Schwarz oder Weiß, bestenfalls Grau. Aber kein Elegantes.

Der Zug, der mich zu einem Dialog mit einer Freundin bringen soll, rollt an. Meine offizielle Heimat liegt hinter mir. Während nun auch der Kopf pocht, bremst der Zug plötzlich ab. Mitten in einem Tunnel. Mein Oberkörper bewegt sich schlagartig gegen meinen Willen, der Kopf knallt aufs Leder des Sitzes. Technisches Gebrechen, kann rasch behoben werden. Soweit ich das richtig verstehe. Die Abteiltür wird von einer Frau mit zwei Kleinkindern aufgerissen.

„Permesso? Darf ich? „, fragt sie. „Natürlich“, antworte ich ein wenig überrascht. Die zwei Kinder bewegen sich wackelnd und vorantastend ins Abteil, jedes an einer Hand ihrer Mama. Ihre Augen sind neugierig, der Blick vorsichtig. Sie stehen und schauen. Ich lache sie an und begrüße sie auf Italienisch. Ich befinde mich in einem der Tunnels kurz nach der Grenze am Weg nach Trieste. „Cuckooo“, ruft eines der Kinder und zeigt ins Dunkel. Das andere versteckt sich hinter vorgehaltener Hand. Erst als das Licht wieder angeht, bemerke ich, wie ähnlich sich die beiden sind. Zwillinge! Ein Bub und ein Mädchen. Ich komme mit der jungen, sympathischen Mutter unweigerlich ins Gespräch. Wir tauschen uns lebhaft über das Zwillingsdasein aus, zumal auch ich ein nun erwachsener Zwilling bin. Neben „Cuckoo“ fallen ein paar mir unverständliche Wörter auf. Ich erfahre, dass die Mutter aus Rumänien stammt, der Vater Italiener ist, aber unter der Woche in Österreich arbeitet. Sie sind vor kurzem in die Nähe von Udine gezogen, weil sie hier Anschluss zu seiner Familie finden wollen. Es zieht mich ein wenig in die Lebensgeschichte dieser Frau hinein.

Im kleinen Abteil bewegt sich etwas. Der Zug steht noch immer. Ich gebe den Kindern je eine kleine Schokolade. Zuerst frage ich die Mama um Erlaubnis. „Permesso?“ Erst nach vorsichtigen  Erkundungsschritten und beobachtenden Blicken greift eines der Kinder nach der Schokolade und bemüht sich, die Verpackung alleine aufzureißen. Ich bin erstaunt über die Ruhe der Zwillinge und die Geduld der Mutter, die mit mir offen über ihr Leben spricht. Während sie kurz telefoniert, nehme ich einen kleinen Ball aus meinem Rucksack. Vorsichtig beginnen die Dreijährigen mit mir Ball zu spielen. Fast wie in Zeitlupe. „Faszinierende Wesen“, denke ich. Wir setzen parallel unser Erwachsenen-Gespräch fort. Der Austausch kreist neben sehr direkten Fragen auch um die Gratwanderung der Erziehung zweier Individuen, die in derselben Stunde das Licht der Welt erblickten. Eines davon durch einen Notkaiserschnitt. Das Gewand der beiden ist gleich, nur ein Pulli ist dezent blau, der andere pastell-rosa gefärbt. Aus dem Mund der Kinder kommen ein paar italienische und dann wieder seltsame mir unbekannte Wörter. Plötzlich fällt wieder Licht ins Abteil.

Die Mutter versucht ihren Zwillingen liebevoll klar zu machen, dass ich kein Rumänisch verstehe. Die beiden wirken erstaunlich selbständig und setzen jeden Schritt selbst. Die Mutter meint, sie gehe viel mit ihnen spazieren. Es sei wichtig, in der Natur zu sein. Wegen der Ruhe. Con calma. Stazione Udine. Wir alle müssen umsteigen. Unsere Wege trennen sich hier.

Beim Aussteigen verliert ein Kind den Ball, der für den Hund meiner Triestiner Freundin bestimmt gewesen wäre. Die Kleinen sind enttäuscht über den Verlust und eines der Kinder schluchzt. Ich neige mich hinunter, um zu sagen: „Euer Ball ist für einen Hund im Zug geblieben. Dieser freut sich riesig.“ Im Nu hört das Kind auf zu weinen. Die Mutter ist sichtlich erleichtert und wiederholt die Geschichte mit dem Hund. Da ich es eilig habe, verabschieden wir uns und ich sitze schon im nächsten Zug. Ich winke der Mutter mit ihren beiden Kindern noch zu. Behutsam, je eines an der Hand, gehen sie die Treppe hinunter zu ihrem Gleis.

In Gedanken versunken rolle ich weiter. Die Abteiltür öffnet sich. Der Schaffner möchte mein biglietto sehen. Mist! Ich habe ganz vergessen das Ticket am Bahnsteig zu entwerten. Kein Spielraum für Diskussion. Es existieren eben Regeln, signora! Ich bezahle unwillig die Strafe.

Das Leben spielt nach eigenen Regeln. Nach langer Zeit bin ich wieder in Trieste Centrale. Es bleiben ein paar Stunden alleine, bevor ich meine Freundin wiedersehe. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich spüre die Wärme des hier bereits aufkommenden Frühlings. Manchmal dürfen auch Große klein sein, in kindlicher Fantasie versinken, denke und spüre ich. Auch wenn dies manchmal einen Preis kostet. Che biglietto caro.

Gia vedo il mare. Ich rieche das Meer und laufe ihm entgegen. Mitte Februar die Zehen ins eiskalte Wasser einzutauchen, ist ein erfrischender Schritt. Ich bin um eine Strafe leichter und um eine Erkenntnis schwerer: Manche Regeln kreiert man selbst. Und manche Versprechen gibt man sich selbst zu früh. Das merkt man erst in schlechten Zeiten. Ich atme tief ein – in all der Meeresluft. Con calma. Ich lege eine Hand aufs Herz und höre es schlagen. Und bin wahrhaftig, wahrhaftig hier und neugierig, was mein Tag in Trieste aus mir hervorruft. Alzati?! Bevor ich in die Stadt schlendere, bleibe ich noch (m)ein wenig am Meer. Ich höre ihm zu. Es rauscht Welle für Welle vor sich hin. Heute sanft, ohne der Wucht der Bora. Ich werde noch Dinge sehen, die ich zuvor noch nicht sehen konnte. Lo sento.

Foto: Bianca Krammer

Wenn sich Gedanken aneinander reihen

Mein Notizblock ist immer griffbereit. Schnell ist z.B. eine Stilblüte meiner SchülerInnen notiert: z.B. Die Braunbären reißen die Schafe auf. Oho!!!

Mich hat es immer schon fasziniert, wie unterschiedlich sich Menschen ausdrücken. Egal, ob Versprecher, flüchtige Begegnungen, Kopfkino oder Hoppalas aller Art und vieles mehr: Das Leben spielt sehr verrückt, wenn man genauer hinschaut.

Auch im scheinbar geordneten Setting, bei einem Schreibkurs, geht es um Spontaneität. Wie sehr ich diese akustischen Ausschnitte von kurzen Selbstgesprächen der anderen TeilnehmerInnen liebe! Es wird gekritzelt und geflucht, gelacht und gestöhnt. Kurze kreative Schreibimpulse sind Gold wert und machen Spaß.

Bei einem Schreibkurs mit Susanne Axmann sind folgende Gedankensplitter in meinem Kopf entstanden.

Intensive Gedanken sind ausbaufähig

Blog-Sätze (6.12. bis 18.12.19)

6.12. Dem Rosinenkrampus kratze ich am liebsten die Augen aus, damit er mich nicht sehen kann und ich ihn in Ruhe essen kann.

7.12. Ein langer Brauner verlängert das Leben ungemein.

9.12. Noch 15 Tage, um zur Besinnung zu kommen.

10.12. Zehn kleine Negerküsse hab ich heute am Adventmarkt auf einen Sitz vernascht. Da gibt es kein Teilen. Resultat: Bleiche Gesichtsfarbe, im Winter egal.

11.12. Licht ins Dunkel gebracht: Park-Sheriff lieb angelächelt, keine Strafe bezahlt. Selbst-Spende sozusagen.

12.12. Heute sehe ich doppelt: 12+12 = 24. Es muffelt schon nach Weihnachten. Ein Termin jagt den anderen, der Heilige Abend liegt scheinheilig vor uns.

13.12. Rum für Rumkugeln vergessen. Raus in die Kälte für Hochprozentiges. Um 50 Prozent verbilligt. Glühweinstand kam in die Quere. Gerade noch heimgekugelt.

14.12. Katerstimmung. Generalprobe für den Jahreswechsel.

16.12. To Do Liste für den Heiligen Abend? Bombemstimmung!

17.12. Grippewelle überrollt das Immunsystem. To Do Liste einfach weggeworfen, krank.

18.12. Vielleicht ist es doch gut an etwas zu glauben. Möchte wieder gesund werden.

19.12. Wann ist Heiligabend? Mir wird fad!

Gedanken über die Zeit

Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?

Bei einem Schreibkurs am 7.12.19 mit Susanne Axmann habe ich Gedanken der TeilnehmerInnen gesammelt:

Die Menschen haben eine kleine Zeit im Herzen und warten darauf, dass sie geöffnet wird.

Die Schlange beißt sich in den Schwanz.

Ab und zu fallen Züge aus, wenn man zu spät aufsteht.

Es ist nicht einfach, Zeit zu haben.

Zeit ist fließend und doch nur von uns Menschen erfunden.

Katzen-Zeit

Katzen haben immer Zeit, zum Streunen und Wiederheimkehren, zum Schmusen, Kratzen, Jammern und Knurren. Ich bin Tom, meine mir zugelaufene Katze nenne ich Jerry. Wenn sie zu lange streunt, könnte ich jammern. Wenn ich von der Arbeit heimkehre, ist Zeit zum Schmusen. Wenn sie knurrend vor mir steht, ist wieder Katzenzeit: so einfach kann man Streuner zähmen.

Schlimm-Zeit

Aus dem Bauch heraus schlimm sein, das kann nicht jeder. Nicht jeder so gut wie mein schlimmster Schüler, der aber auch zahm sein kann. Mag er nicht brav sein, dann ist er schlimm. Mag er nicht schlimm sein, dann ist er brav. So geht er mir immer durch die Lappen mit meinem Drang nach Wissensvermittlung. Kaum erhebe ich meine Stimme vor Empörung, ist er das letzte Wesen auf der Erde, das sich ansprechen lässt. Kaum bin ich nett, packt er all seine Frotzeleien aus. Spielt Engelchen und Teufelchen. Haltet mich auf Trab.

Fort-Zeit

Endlich Feierabend! Die Lehrerrolle lege ich an der Schwelle meiner Wohnungstüre ab. Fortnight, rumort es in meinem Kopf. Das Wort, das ich tagsüber im Klassenzimmer wie ein Schimpfwort meide, beherrscht bis spätabends mein Tun. Ich sitze vorm Computer und tue es. Man muss ja am Laufenden bleiben, so beruhige ich mich.