Gegenwind

in inniger Erinnerung an meinen Opa (Palmsonntag 2019)

Der Gegenwind auf der Autobahn peitscht dem kleinen Fiat entgegen. So unbeständig wie das Aprilwetter, so unbeständig sind heute meine Gedanken. Trotz Osterferien fehlt mir gerade der Boden unter meinen Füßen. Nur im Auto fühle ich mich zuhause. Während die Landschaft an mir vorbei rollt, versuche ich meine Gefühle zu ordnen. Die Fahrt führt zu meinem Opa, der in Pöckau nahe der slowenisch-italienischen Grenze lebt. Ein Blitz fährt aus den Wolken. Hagelsturm in mir. Ich ärgere mich über das Verhalten eines Menschen, der mir mal nahe stand. Ich hole Opa ab. Sein Kreislauf ist stabil genug, um eine Spritztour nach Italien zu machen. Kaum sitzen wir gemeinsam im Auto, sind alle Sorgen vergessen. Die fröhliche und ruhige Art meines Opas tut einfach gut. So spontan kann ich nur mit ihm sein. Er ist 88 und sein Parkinson kann ihn ganz schön im Griff haben, vor allem vormittags. Opa hat Stil und ist ein wichtiger Anker für mich. Er kann aber auch stur sein wie ein Esel. Wie immer hat er sich von der Pflegerin sehr elegant anziehen lassen: Anzug und Krawatte, der Hut darf auch nicht fehlen. Da er fast blind ist, trägt er zum Schutz der Augen immer eine Sonnenbrille, rund ums Jahr. Neckisch meine ich zu ihm: „Du hast dich ja richtig in Schale geworfen.“ Seine Antwort: „Wenn du wüsstest!“ Und dabei fällt er fast zu Boden, ein klappriger Tag. Seine Beine laufen ihm wieder einmal davon und er kann sich gerade noch am Tisch einhalten. Ich sollte doch mit der Pflegerin auf einen Cappuccino fahren, er bleibe lieber zuhause. Heute, wo ich so dringend seine Anwesenheit brauche, klappt er zusammen. Ich schalte auch auf stur: „Bist du deppert, Opa? Ich bin extra eine Stunde im Auto gesessen, um dich abzuholen und jetzt willst du nicht mitkommen? Du kannst klapprig sein, wie du willst, du steigst jetzt ins Auto, da musst du eh nur sitzen.“ Er willigt ein, auch wenn ihm das Wort Egoismus entkommt. Kurz darauf, sitzen wir zu dritt im Auto, die Pflegerin ist auch mit an Bord. Ich versuche langsam zu fahren. Und beruhige mich. Ich liebe diesen Modus: Musik, Opas singt, sein Stock dient ihm als Taktstock. Die Pflegerin und ich summen mit. Ein kurzer Krampf in den Waden ist gleich durch Abklopfen gelöst. Beim Stammcafe Krumpe, gleich nach der Grenze, möchte er nicht aussteigen. Stimmt, ich hab ja vorhin zu ihm gesagt, er müsse nur im Auto sitzen. Wie ich meinen Opa liebe! Ich denke kurz an den Palmesel. Ich kann ihn einfach nicht motivieren, es sei schon zu spät für Kaffee. Also fahren wir weiter, nach Dogna, wo mein Lieblingscafe ist. Zweite Chance. Da packt die Pflegerin ihren kroatischen Charme aus und schon sitzt Opa vorm offenen Kamin des Locanda del Orso. Schrullig sieht er aus mit seiner Damen-Sonnenbrille im Winter. „Das fällt ja auch wieder nur dir ein, abends auf Umwegen ins Kaffeehaus zu fahren.“ Er trinkt Malzkaffee. Die Pflegerin ist sehr gesprächig. Während sie mir aus ihrer Heimat, der Voivodina erzählt, steht Opa plötzlich auf. Ich denke, er müsse auf die Toilette. Doch er weist mit seinem Stock vehement Richtung Holzskulptur. Und beginnt diese zu betasten. Er hat zeit seines Lebens gerne geschnitzt. Die Figur zeigt einen Arbeiter. Er spürt, dass die gesamte Figur aus einem einzigen Stamm gefertigt wurde, aus einer Linde vermutlich. Nun kommt der Hunger. Opa möchte eine friulanische Haussalami kosten, er tunkt sein Panino in Ketchup. Und genießt. Es schmeckt ihm. Wir haben Spaß, auch die Heimfahrt ist richtig lustig. Wir singen zu dritt. Ich bedanke mich innerlich bei Opa für den tollen Ausflug, trotz oder gerade wegen des Gegenwindes.

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