meiner verstorbenen Pörtschacher Oma gewidmet (März 2019)
Sie haben mich als Kind schon immer fasziniert. Diese flinken Ungeziefer, die am blau-türkisen Fliesenboden im Klo meiner Großeltern herum flitzten. Als ich nun als Erwachsene am stillen Örtchen sitze , einen Tag vor der Beerdigung meiner Oma, da fallen sie mir wieder auf. Auf lupenreinen, sterilen Oberflächen fühlen die Silberfischchen sich nicht so wohl. Sie brauchen den Staub, das Unperfekte, das Lebendige. „Wir alle werden irgendwann zu Staub“, denke ich, betätige die Spülung, sorge für Frischluft und schaue in den Himmel. Die Vögel zwitschern, es wird Frühling. „Und morgen wirst du zu Grabe getragen, liebe Oma“, sage ich leise zu mir selbst. Du hast um jeden Atemzug gekämpft, bist schweren Herzens von uns gegangen, hast eine große Familie hinter dir gelassen, die um dich trauert. Ich gehe wieder in die Küche, wo eine Tante gerade in der Fotokiste kramt. Parallel schreiben wir die Fürbitten und trinken Sekt zur Entspannung. Wir schweifen ab, in Erzählungen, Rückblenden und lassen Omas Kindheit revue passieren. Eine Kindheit mit vielen Widersprüchen. Mit bereits vier Jahren ging sie als kleines Mädchen namens Traudl jeden Sommerbeginn zu Fuß von Sirnitz im Gurktal bis Feldkirchen, begleitet von ihrer Oma. Dort wurde sie den Großeltern väterlicherseits übergeben. Die Eltern waren getrennt, damals eher unüblich, aber die Großeltern kooperierten. In Feldkirchen angekommen, wurde sie das Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen zuerst einmal umgezogen. Sie bekam feines Gewand übergestülpt und fühlte sich wie eine Puppe. Erst dann wurde sie auf einen Karren gesetzt, der sie mit ihren anderen Großeltern nach Pörtschach brachte. Die Oma aus Sirnitz machte sich zu Fuß wieder auf in ihre Heimat. Traudls Gedanken waren trotz der Fürsorge der Pörtschacher Großeltern oft bei ihrem ärmlichen Zuhause. Wie es allen wohl geht? Ihre alleinstehende Mama verdiente den Unterhalt für die vierköpfige Familie als Köchin. Am Ende der Sommermonate wurde Traudl wieder nach Feldkirchen gebracht, um dort erneut mit ihrer Oma aus der Sirnitz den Fußmarsch in die Heimat anzutreten. Auch wenn ihr Zuhause im Gurktal von Bescheidenheit und Armut geprägt war, so fühlte sich das Mädchen dort immer wohl. Sie liebte ihre Kleidung, die mit viel Mühle geflickt wurde. In der Obhut ihrer Oma ging es ihr stets gut. Sie freute sich, wenn immer ihre Mama Zeit für sie fand. Die Wärme war gegeben, auch wenn die Mittel nur bescheiden waren. Ich denke daran, wie wichtig es ist, einen Ort zu haben, den man Zuhause nennt, weil man sich dort geborgen fühlt. Kaum entschwindet ein geliebter Mensch aus dem Irdischen, brauchen die Hinterbliebenen einen Ort, an dem sie mit dem oder der Verstorbenen ins Zwiegespräch kommen können. Oder einfach nur ein Gebet aussprechen können. Vom Sekt noch müder geworden und schwerem Kopf, lege ich mich auf die Couch. „Wie lange leben eigentlich Silberfische?“, frage ich mich und schlummere ein.